Boehme Korn Georg

Fachkräfteeinwanderung - es ist nicht alles Gold, was glänzt! von Dr. Böhme-Korn

Fachkräfteeinwanderung: Königsweg zum Wohlstand oder Irrweg ohne klare Sicht und Kompass?

Es braust ein Ruf wie Donnerhall durch die deutschen Lande: Nachhaltigkeit sei das Gebot der Stunde, müsse Maßstab sein für alle Politik. Ein Wort, so selbstlos und der Zukunft zugewandt, dennoch so heimatlich und kuschelig, mit dem Duft des deutschen Waldes, dem Geschmack von Bio-Gemüse und dem Gefühl, mit dem Drahtesel unterwegs zu sein - da wollen doch fast alle Hüter sein. Nachhaltigkeit, das Zauberwort, das nahezu alle Politik hinter sich vereinen kann.

So jedenfalls die Theorie. Doch grau, lieber Freund .. , - na, Sie wissen schon. Wenn's praktisch werden soll, kann's holpern. So auch in diesem Fall:

Das „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“, ab 1. März soll es nun wirken. Endlich, meinen Viele. Schon seit Jahren schwillt der Ruf nach Fachkräfteeinwanderung – nichts Geringeres als die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland stehe auf dem Spiel, Heimat der Dichter und Denker, weniger der Gesellen, Handwerker und Pflegekräfte. So tönte Anfang 2019, kurz nach dem Kabinettsbeschluss zum Gesetzentwurf, eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung: „Deutschland hat bis 2060 einen jährlichen Ein­wanderungs­bedarf von mindestens 260.000 Menschen“. Also: brain drain aus dem Rest der Welt als Vorbote weltweit wünschenswerter Freizügigkeit, Symbol für die Weltoffenheit unseres Vaterlands, für Jedermann ein Segen? Da bin ich mehr als skeptisch.

Zunächst ein Blick ins Heute: Vorhersage des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2000 für 2020: Einwohner in Deutschland zwischen 78,8 und 80,3 Mio (bei 100 000 bzw. 200 000 Zuwanderern pro Jahr). Aktuell: 83,1 Mio. also Millionen mehr, Arbeitnehmer­freizügigkeit für 450 Mio Europäer. Dennoch zu wenig Potenzial für Mangelberufe in Deutschland??? Dann - mein ständiges Petitum in der Politik – weiter in die Zukunft denken! Zuwanderer bringen Familien mit, sie brauchen Wohnungen. sie brauchen Kita-Plätze, sie brauchen Schulen, brauchen Dienstleistungen und Handwerker, brauchen auch mal ärztliche Betreuung, werden alt und brauchen Pflege – erzeugen also zusätzlichen Bedarf. Und: wenig wahrscheinlich, dass Berufswünsche ihrer Kinder sich sehr von deutschen Kindern unterscheiden – Mangelberufe bleiben Mangelberufe. Ergebnis: wir brauchen wieder Zuwanderung. Und nach wenigen Jahrzehnten hat sich die Bevölkerung verdoppelt – aber nach wie vor; wir brauchen Zuwanderung.

Da sind noch gar nicht angesprochen die Probleme in den Herkunftsländern – 1000 Informatiker aus Indien – kaum ein Problem. 1000 Ärzte aus Ghana – nahe einer Katastrophe. Dazu im Einwanderungsgesetz nur eine ganz bescheidene Verordnungsermächtigung für ein Bundesministerium: Die Versagung einer Blauen Karte kann bestimmt werden, „wenn im Herkunftsland ein Mangel an qualifizierten Arbeitnehmern in diesen Berufsgruppen besteht“. Der Bundestag hat dabei nichts zu sagen, ob das Auswärtige Amt einbezogen werden muss, ist ungewiss, Reicht das??? Ende Februar las ich, dass Serbien keine Pflegekräfte mehr nach Deutschland schicken will. Was Entwicklungszusammenarbeit aufbauen will, kann mit solch einem Gesetz wieder eingerissen werden. Und außerdem: passt das zum Geist der Brüderlichkeit, den auch die Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte fordert?

Ich habe meinen Bundestagsabgeordneten schon kurz nach dem Kabinettsbeschluss meine schweren Bedenken mitgeteilt – natürlich ohne irgendwelche Illusionen. Die Politik denkt vornehmlich in kurzen Zeiträumen – weil das auch die Wähler ganz überwiegend tun. Kurzfristige Wohltaten für Interessengruppen – weit wirkungsvoller für das nächste Wahlergebnis als ein Denken orientiert an fairen Grundsätzen und langfristigen Wirkungen. Will man aber ernsthaft nachhaltige Lösungen finden, muss man fragen: Was stimmt denn da in Deutschland nicht? Ich meine: Mehr Attraktivität für Mangelberufe durch markt­gerechte Arbeitsbedingungen und Bezahlung wären ein fairer und systemgerechter Weg, Allerdings, ich räume ein, auch ein weitaus unbequemerer. Manche Leistungen würden deutlich teurer, hier und da gingen Teile der Wertschöpfung ins Ausland, und vor allem: Man müsste ernstlich daran gehen, das insgesamt begrenzte Budget für Sozialleistungen, ob beitrags- oder steuerfinanziert, nach vernünftigen Prioritäten aufzuteilen. Etwa: sind „Elterngeld plus“, ein 365-Euro-Ticket oder kostenfreie Kitas wirklich wichtiger, als Pflegekräfte marktgerecht zu bezahlen und damit zu gewinnen? Aber auch: Sollten private Krankenkassen nicht einen Solidaritätsbeitrag für die gesetzlichen leisten, die ja beitragsschwache Mitglieder kräftig subventionieren? Da geht es um Milliarden, und mächtige Interessengruppen werden alles tun, um Neubewertungen zu verhindern. Wohl nur in einer großen Koalition bei gewaltigem Problemdruck oder auch gar nicht durchzusetzen. Doch wer nachhaltige Politik will, muss sich solchen Fragen stellen.

Dass ich nicht missverstanden werde: Arbeitsmigration gehört seit Jahrhunderten zur Welt, hat zum Fortschritt beigetragen – gerade auch in Sachsen. Und auch heute hat sie ihre Berechtigung. In der Welt von heute allerdings muss sie so gesteuert werden, dass sie nicht zusätzliche Konflikte und Probleme schafft, sondern allen Seiten nützt: den Herkunftsländern, den Zielländern und auch den Migranten. Aus meiner Sicht, so schrieb ich schon 2015 meinen Bundesparteitagsdelegierten, sind dazu zwischenstaatliche Verträge besser geeignet als schlicht eigennützige Gesetze.

Aber, wie gesagt, ich bin da ohne Illusionen, Doch politische Verantwortung heißt auch, Irrwege klar zu benennen. Ich wünsche mir eine Politik mit Deutschland und der ganzen Welt im Blick und mit fairen Grundsätzen für das konkrete Handeln. Das Fachkräfteeinwanderungs­gesetz aber hat damit wenig zu tun – und gleich gar nichts mit Nachhaltigkeit, der wir uns mit schönen Worten ach so oft verpflichten.

G. Böhme-Korn