Boehme Korn Georg

Nachgedacht: Klimaschutz - Recht und Gerechtigkeit

Dr. Georg Böhme-Korn: „Klimaschutz - Recht und Gerechtigkeit"

„Recht und Gerechtigkeit – nein, es geht nicht um die bekannte polnische Partei. Das Thema drängte sich mir auf, als ich aus den Medien vom Beschluss des Bundes­verfassungsgerichts vom 24. März 2021 zum Klimaschutzgesetz hörte.

Erster Eindruck: Klimaschutz, koste es was es wolle?

Doch Vorsicht - erst mal die Fakten sichten, dann bilde man sich eine Meinung. Und die haben wenig zu tun mit der Aufregung in den Medien – und auch in der Politik.

Ich muss hier stark verkürzen, hoffe aber doch, den Kern der Sache nicht zu verfehlen.

Also: Kernpunkte aus meiner Sicht:

  1. 1. das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) vom 12.12.2019 führt in § 1 als Grundlagen an das Übereinkommen von Paris und „das Bekenntnis der Bundesrepublik Deutschland … Treibhausgasneutralität bis 2050 als langfristiges Ziel zu verfolgen“. In Anlage 2 legt es allerdings nur bis einschließlich 2030 konkrete Minderungs­ziele für einzelne Sektoren der Wirtschaft fest. Übrigens lässt es auch zu, „die nationalen Klimaschutzziele teilweise im Rahmen von staaten­übergreifenden Mechanismen … zu erreichen“.

  2. 2. Weiter bestimmt es in § 4 Abs, 6: „Im Jahr 2025 legt die Bundesregierung für weitere Zeiträume nach dem Jahr 2030 jährlich absinkende Emissionsmengen durch Rechtsverordnung fest“.

Was nun hält das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig?

Kernsätze: Die Minderungsziele „sind mit den Grundrechten unvereinbar, soweit eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen … genügende Regelung über die Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume ab dem Jahr 2031 fehlt. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen“ (Beschlusspunkte 2 und 3).

Dann folgen ellenlange Positionsdarstellungen, Abwägungen und Begründungen – der Beschluss ist 270 Seiten lang. Die Richter waren sich bewusst, dass es um Grundsätzliches geht und haben sich sehr gründlich mit der Materie beschäftigt.

Mit obiger Formulierung meint das Gericht nicht nur das Fehlen konkreter Ziele für die Jahre 2031 ff,, sondern auch, der Gesetzgeber müsse „die erforderlichen Regelungen zur Größe der für bestimmte Zeiträume insgesamt zugelassenen Emissionsmengen selbst treffen“ (Leit­satz 5). Dieser Aspekt allerdings war bisher nicht Gegenstand der öffentlichen Diskussion.

Festzuhalten ist auch: Die Richter haben nicht die vorgegebenen Reduktionsziele des KSG bis einschließlich 2030 für unzureichend erklärt. Und sie haben nicht das – nur benannte, nicht festgesetzte – Ziel der Klimaneutralität bis 2050 bemängelt.

Sie fordern lediglich eine Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume ab dem Jahr 2031 bereits bis Ende 2022 und im Gesetz (Beschlusspunkt 4).

Grund sei „die derzeit nicht hinreichend eingedämmte Gefahr schwerwiegender Grundrechtsbeeinträchtigungen in der Zukunft“ Es müssten „hinreichende Vorkehrungen getroffen werden, um die ab 2031 auf die Beschwerde­führenden zukommende Reduktionslast zu erleichtern und die damit verbundene Grundrechtsgefährdung einzudämmen“.

Ich meine: wohl nicht ganz umsonst hat der Gesetzgeber das Jahr 2025 für die Fortschreibung der Klimaziele nach 2031 gewählt – das Gebiet entwickelt sich technologisch stürmisch, die Politik hat (Gott sei Dank) nicht alles in der Hand, und eine Glaskugel für einen Blick zehn bis dreißig Jahre voraus ist nirgendwo zu haben.

Weiter: wenn man meint: „Das Grundgesetz verpflichtet unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnis­mäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen“ (Leitsatz 4), müsste man da nicht die Belastung der heutigen Generation auch in den Blick nehmen?

Ich wage mich weit vor und meine: auch Richter sind nur Menschen. Sie atmen den Zeitgeist und spüren die Erwartungen derer, die ernstlich meinen, Klimaschutz sei nur eine Sache guten Willens in der Politik.

Aber summa summarum: mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts kann man gut leben – wenn man ihn ehrlich betrachtet und ihn nicht als Waffe gegen alle Realisten zu missbrauchen sucht.

Und genau da mache ich mir Sorgen: Im Wahlkampfmodus werden nationale Minderungsziele in einem Gesetzentwurf schon mal verschärft und vorgezogen, auch wenn gerade erst eine vorläufige Einigung über europäische Minderungsziele geschafft wurde.

Das Verfassungsgericht forderte nichts dergleichen. Und solch ein Gesetz mitten im Wahlkampf im Bundestag zu beraten – das Verfassungsgericht forderte den Beschluss bis Ende 2022 – das verheißt nichts Gutes. Ja, zumindest die gefühlte Stimmung fordert das. - doch eine verantwortungsvolle Gesetzgebung braucht Zeit. Und ob die Mehrheit der Bürger wirklich diese Eile will, sei dahingestellt.

Ich maße mir nicht an, den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts juristisch zu bekritteln.

Doch Recht und Gerechtigkeit - hebe ich den Blick von den wohlgesetzten Worten unserer Rechts­gelehrten und schaue in die bunte Lebenswirklichkeit, scheint mir die Betrachtung doch ein wenig eingeengt zu sein.

Die Generation meiner Eltern hat zwei Weltkriege durchleben müssen und, glücklich überlebt, unter schwierigsten Bedingungen den Wiederaufbau geschultert.

Meine Generation hatte die Lasten der Wiedervereinigung zu tragen, je nach Wohnort mit großer Verunsicherung, flächen­deckend hoher Arbeits­losigkeit und Niedriglöhnen oder mit hunderten Milliarden Steuergeldern für den Osten.

Wer heute im Arbeitsleben steht, muss hunderte Milliarden an Corona-Schulden abbezahlen. Heutige junge Leute übernehmen ein aufgeräumtes Land mit guter Infra­struktur, hohem materiellen Standard und besten Freiheitschancen. Und auch, richtig, mit neuen Herausforderungen.

Das im Namen der Gerechtigkeit kleinkrämerisch gegeneinander aufzurechnen, ist kaum möglich und geht über Justitiables weit hinaus. Anstand und Fairness, gegenseitiger Respekt ist da in Politik und Bevölkerung gefragt, kein verbissenes Gegeneinander mit allen juristischen Mitteln. Nicht nur beim Klimaschutz, auch bei den Finanzen, den Sozialsystemen, den Ressourcen allgemein.

Wohlgemerkt: Klimaschutz durch Dekarbonisierung – ein richtiges, wichtiges und heißes Thema auch für unsere Union. In Deutschland werden heute nur etwa 20% der verbrauchten Energie aus Erneuerbaren gewonnen. Wie schaffen wir den kleinen Rest von 80 %, und gar ohne Atomkraft – ich bin gespannt auf die Vorstellungen der nächsten Bundesregierung. Aber das ist schon ein separates Thema und wird uns in den nächsten Jahren noch beschäftigen. Mich interessiert das sehr, und ich bleibe dran.

Dr. Georg Böhme-Korn

Stellv. Landesvorsitzender